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Autor: Rainer Ellinger, 15.03.2017

Zwei Stimmen auf einer Violine

Schwäbisch Hall:Die Barock-Violin-Professorin Mechthild Karkow gefällt in der Schwäbisch Haller Urbanskirche mit Werken von Bach.

Nur eine einzige Geige. Den ganzen Konzertabend lang. Das hält manch einen vom Besuch ab, weil er sich zu wenig Abwechselndes erhofft. Aber wer die beiden Bachzyklen gehört hat, umwerfend gespielt von der noch recht jungen Mechthild Karkow, Professorin für Barockvioline in Leipzig, wünscht sich, das Konzert in der Haller Urbanskirche wäre länger gewesen.

Das liegt freilich nicht nur an dem astreinen, technisch und musikalisch perfekten Spiel der Virtuosin auf ihrer Geige von 1660, bei dem man keinen einzigen unsauberen Ton hört, das liegt auch an einer Eigenart dieser Bach’schen Solo-Werke, die man bei seinen Cello-Soli genauso beobachten kann: Das sind latent Duette; man hört das Zwiegespräch zweier Violinen, das doch auf einem einzigen Instrument gespielt wird. Auch wenn der Satz weitgehend einstimmig abläuft, so ergeben beispielsweise beim Anfangssatz „Grave“ der Sonata a-Moll BWV 1003 die Fundamenttöne der Melodiebogen – wie die Gewölbebogen eines Kreuzganges aneinandergereiht – im Kopfe des Hörers eine quasi kontrapunktische Melodie. Mechthild Karkow versieht solche Basstöne mit fundamentalem Gewicht, so dass diese Zweistimmigkeit den Hörer anspringt.

Ein gesitteter Dialog

Im raschen zweiten Satz, einer Fuga, spielt dies auch eine Rolle, wenngleich hier Doppelgriffe akkordischen  Eindruck erzeugen. Aber das Thema, das sehr an die zweite Fuge des „Wohltemperierten Klaviers“ erinnert, wird nicht konsequent zweistimmig kanonisch durchgeführt. Doch auch im Nacheinander dessen, was vom Orchester oder dem Tasteninstrument gleichzeitig vollzogen werden könnte, kann der Kopf des Hörers die Elemente aufeinander beziehen.

Allgemein hat man bei allen Sätzen des Abends den Eindruck eines gesitteten Dialoges, bei dem man den anderen ausreden lässt. Die Bezeichnung der Stücke als „ohne Bass“ ist zwar formal richtig, inhaltlich jedoch nicht so ganz. Das folgende Andante ist wieder ganz zweistimmig angelegt mit einer ruhigen Basslinie, über die sich eine bewegtere Oberstimme legt.

Über die Sätze des zweiten Zyklus’, der Partita II d-Moll BWV 1004 lässt sich Gleiches sagen. Durch häufige Motivsequenzierungen wirkt die Allemande fast improvisiert, aber folgerichtig. Sehnsuchtsvoll – fast romantisch – das in Mehrklängen ausgebreitete Spiel der Sarabande.

Brillant vor allem durch die rasche Fortbewegung wirkt die Giga. Die abschließende Ciaccona ist ein orchestral erfundenes, akzentuiertes Stück, das weitgehend mehrstimmig bleibt. Durch seine orchestrale Wucht hat diese Ciaccona etliche Romantiker zu Klavier-Transkriptionen angeregt. So eine Bearbeitung von Johannes Brahms für die linke Hand solo und vor allem die klanggewaltige, vollgriffige Version von Feruccio Busoni. Doch beim Hören des Bach’schen Originals wird einem bewusst, wie viel von dieser Orchestralität schon in der Urfassung für Violine solo steckt.

Wenn es stimmt, dass der Applaus das Brot des Künstlers ist, so muss Mechthild Karkow wahrlich nicht darben.

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