10 SCHWÄBISCH HALL Samstag, 2. September 2017

Mit frendlicher Genehmigung des Haller Tagblatt wird der Artikel hier abgebildet.

Bronze für die Front

Esther Lenhardt | 02.09.2017

Wir schreiben das Jahr 1917. In Europa tobt seit drei Jahren der Erste Weltkrieg. In Deutschland werden Lebensmittel und Rohstoffe knapp. Die Nachfrage nach Metallen für die Rüstungsindustrie wird so groß, dass überall im Land Kirchenglocken beschlagnahmt werden. Auch die Urbanskirche und die Kirche St. Josef in Hall müssen im August 1917 insgesamt fünf Glocken nach Stuttgart abliefern. 100 Jahre danach hängt in beiden Kirchen wieder ein volles Geläut.

„Die Kirchenglocken waren bei der Beschlagnahmung besonders begehrt, weil sie aus Bronze bestehen“, erklärt Karlheinz Grau vom Freundeskreis der Urbanskirche.  Denn Bronze ist eine Metalllegierung, die einen hohen Kupferanteil aufweist. Dieses Metall wurde damals für die Herstellung von Geschossen gebraucht.

Dass ausgerechnet Kirchenglocken für die Waffenherstellung  eingeschmolzen wurden, war auch damals, in Kriegszeiten, keine Selbstverständlichkeit. So wurden beispielsweise nur die relativ jungen Glocken aus den beiden Kirchen entfernt.

Zitat.
Die Kirchenglocken waren besonders begehrt, weil sie aus Bronze bestehen.
Karlheinz Grau, Freundeskreis der Urbanskirche

So war es gewissermaßen historisches Pech, dass eine der beiden Glocken der Urbanskirche, die aus dem 17. Jahrhundert stammt, 1888 gesprungen war. „Um die kaputte Glocke zu ersetzen, hat man 1890 zwei neue Glocken gießen lassen“, erklärt Karlheinz Grau. „Da diese wenig historischen Wert besaßen, konnte man sie einschmelzen.“ Die dritte Glocke stammt von 1688 und hängt bis heute in der Kirche.

Die drei Glocken der St. Josefskirche waren erst 1886 kurz vor der Weihe der Kirche gegossen worden und damit frei zur Beschlagnahmung. Dass das Alter der Glocken eine Rolle spielt, erklärt auch, warum keine der Glocken aus St. Michael eingeschmolzen wurde.

Ein Gefühl von Wehmut

Dass es damals in der Stadt durchaus Stimmen gegen die Beschlagnahmung gab, lässt sich aus dem Bericht über den Abtransport am 28. August 1917 im Haller Tagblatt erahnen. Dort heißt es: „Will uns auch das Gefühl von Wehmut beschleichen, so müssen wir dasselbe niederkämpfen und auch dieses Opfer für das liebe Vaterland willig bringen.“

Während die Glocken der St. Josefskirche in den 1920er-Jahren ersetzt wurden, hing bis 2014 lediglich die verbliebene Kreuzglocke in der Urbanskirche. „Bei der Generalsanierung 2012 wollte man die beiden Glocken dann wiederbeschaffen“, erzählt Karlheinz Grau.

Das stellte den Freundeskreis der Urbanskirche vor mehrere Probleme. Zunächst mussten die Kosten von gut 125 000 Euro aufgebracht werden. Diese wurden von der Stadt, der Kirche und zum größten Teil aus Spenden an den Freundeskreis gestemmt. „Da mussten wir vielen Leuten tief in die Augen schauen“, erinnert sich Grau. Ein weiteres Problem war der enge und veraltete Dachstuhl. Viele Balken mussten ausgetauscht, eine Lösung für den Läute-Mechanismus musste gefunden werden.

Die beiden neuen Glocken wurden dann von der Karlsruher Firma Bachert gegossen. Das Geläut ist auch neu gestaltet. „Damals waren die Glocken noch nicht so sehr verziert. Wir haben uns dann entschieden, die neuen Glocken dementsprechend neuer zu gestalten“, erzählt Grau. Und so zieren nun biblische Sprüche und verschiedene Tiermotive die beiden Glocken. Im Adventsgottesdienst im Dezember 2014 erklangen sie dann zum ersten Mal wieder über der Limpurger Vorstadt.

Die neu gegossene Marienglocke ruft sonntags Gläubige zum Gottesdienst in die Urbanskirche. Im Ersten
Weltkrieg waren zwei der Glocken des Gotteshauses beschlagnahmt worden. Archivfoto: Marc Weigert

Drei Schwergewichte in der Urbanskirche

Drei Glocken bilden das Geläut der Kirche. Die älteste davon ist die Kreuzglocke von 1688. Sie wiegt 160 Kilogramm und trägt das Wappen der Stadt, ein Kreuz und die Inschrift „Soli deo gloria“ (Allein Gott zur Ehre).
Die kleinere der beiden neueren Glocken ist die Taufglocke. Sie wiegt 105 Kilogramm. Oben sieht man die Darstellung eines Lamms und eines Kelches mit Hostie und Traube. Am Bodenansatz findet sich ein Fisch. Das Band oben an der Glocke trägt die Inschrift „Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses – Psalm 26,8“.
Die zweite neue Glocke ist die Marienglocke. Sie wiegt 401 Kilogramm und zeigt ein Bild der Maria mit der Inschrift „Ecce Ancilla Domini“ (Ich bin die Magd des Herrn) und einen Engel mit dem Spruch „Maria Dominus tecum“ (Maria, der Herr ist mit dir). Darüber hinaus sind auf ihr ein Bild der Hochzeit zu